Universität Hamburg - Institut für Geschichte der Naturwissenschaften, Mathematik und Technik

Gudrun Wolfschmidt

zweitägige naturwissenschafts- und technikhistorische Exkursion


EXKURSION nach OLDENBURG Di 24. bis Mi 25. November 1998
Bericht von Pia Köppel

Programm: http://www.math.uni-hamburg.de/math/ign/Info/oldenb98.html


Eine Exkursion des IGN unter Leitung von Frau Wolfschmidt - und zwar in die Universitätsstadt Oldenburg, das ist mit Sicherheit eine Überraschung. Was gibt es denn in Oldenburg? Vornweg was es in Oldenburg nicht gibt; keine verlockenden Bibliotheken, Archive und Büchermagazine wie in Wolfenbüttel. Und es sind keine Handschriften, keine Inkunabeln, keine Kupferstiche des 18. Jahrhunderts zu bestaunen. Die Universität ist funkelnagelneu und hochmodern. Modern genug für neue Wege, sich der Kultur des 16. bis 18. Jahrhunderts zu nähern, genauer der physikalischen Experimentierkultur dieser Zeit.
In der Fakultät für Physik der Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg gibt es die 'Arbeitsgruppe Hochschuldidaktik und Wissenschaftsgeschichte', die es sich zur Aufgabe gemacht hat, physikalische Experimente in ihrem jeweiligen historischen und kulturellen Kontext zu verstehen und darzustellen durch möglichst originalgetreuen Nachbau der verwendeten Geräte und Instrumente und den tatsächlichen Nachvollzug der experimentellen Handlungen. Die untersuchten Experimente reichen von Otto von Guerickes Weltmodell aus Schwefel (ca. 1650), mit dem er die Weltkräfte erforschen wollte und es mit elektrischen Phänomenen zu tun bekam, bis zu einem Gerät für aerodynamische Messungen von Otto Lilienthal (ca. 1888). Über 40 Experimente sind bereits rekonstruiert worden, und ausgestellte Objekte sind über mehrere Etagen des Fakultätsgebäudes verteilt und zu besichtigen. Der Einführungsvortrag von Prof. Dr. Falk Rieß gab einen ersten Überblick.

Der eigentliche Clou jedoch war ein Schnuppernachmittag in den physikalischen Salons des 18. Jahrhunderts: Wie war das noch mit der Elektrostatik? Und warum kriege ich diese Leidener Flasche jetzt nicht geladen? Da stutzte auch unser Diplomphysiker. In der Tat: Es ist ein großer Unterschied zwischen den Stahlstichen der zeitgenössischen Handbücher, in denen natürlich jedes Experiment eindrucksvoll gelingt, und dem tatsächlichen Nachvollzug, bei dem erst auffällt, welche wichtigen Details nicht veröffentlicht wurden, und die dann bei reinen Literaturstudien nur zu leicht übersehen werden. Wie sehr eine wissenschaftshistorische Geschichtsschreibung, die vom heutigen Wissensstand ausgeht, durch 'Glättung' den tatsächlichen Gang der Naturentdeckung verwischen kann, wurde an Versuchen zur Bestimmung elektrostatischer Kräfte (u.a. mit Coulombs Drehwaage) deutlich.

Nach einer Kaffeepause wurde in der Physik weiter experimentiert. Dr. Peter Heering bot den faszinierten Teilnehmern immer noch einen Versuchsaufbau mehr an, und er war selber mit solcher Begeisterung dabei, daß die Besuchergruppe keine Scheu hatte, seine Frage, ob noch ein weiteres Experiment gewünscht sei, immer wieder zu bejahen. Dieser erste Tag fand (zu sehr später Stunde) seinen krönenden Abschluß durch die Herstellung von Lichtenbergschen Figuren (vgl. Abbildung) durch alle Teilnehmer.

Am nächsten Tag teilte sich die Gruppe. Wer wollte, konnte den Vormittag mit der Durchführung eines selbstgewählten Versuchs aus der Serie von historischen Versuchen, die im Rahmen des physikalischen Praktikums für Pädagogikstudenten (Lehramtskandidaten) zur Verfügung stehen, in der Universität verbringen. Und tatsächlich fand sich ein Kandidat, der sich daran machte, den Erdmagnetismus vor Ort mit dem von Gauß und Weber 1839 entwickelten 'transportablen Magnetometer' zu bestimmen.

Alle anderen besuchten das Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, das sich der historischen Landschaft Oldenburgs widmet, beginnend beim Naturraum und der Agrarverfassung des Landes Oldenburg, bis hin zur Gegenwart, mit Schwerpunkten in der Zeit des Hochmittelalters, der gräflichen Residenzen im 17. Jahrhundert, der Aufklärung und der Industrialisierung im 19. Jahrhundert. In museumspädagogischer Hinsicht besonders interessant sind die Aktivitäten des Vereins 'Lebendiges Museum e.V.', der sich die Entwicklung und Erprobung neuer museumspädagogischer Konzepte zum Ziel gesetzt hat. In den Ausstellungsräumen werden nicht allein multimediale Konzepte verwirklicht, sondern es wird sogar ein Computerspiel eingesetzt, um die Ordnungen und Bräuche am oldenburgischen Hofe zu veranschaulichen.

Ein Gespräch mit der Arbeitsgruppe für Didaktik der Chemie unter Leitung von Prof. Dr. Walter Jansen beleuchtete interessante Gesichtspunkte sowohl der Hochschuldidaktik als auch allgemein der Didaktik der Naturwissenschaften an öffentlichen Schulen. Die lebhafte Diskussion bewegte sich von der Rekonstruktion und Analyse archäologischer Funde mit möglicherweise technischem Hintergrund bis hin zur Rolle, die die Wissenschaftsgeschichte bei der Vermittlung naturwissenschaftlichen Lehrstoffs spielen kann, und wurde dank der Anwesenheit einiger Mitglieder der Arbeitsgruppe für Didaktik der Physik teilweise auch kontrovers geführt.

Nachdem unser auf den Spuren von Gauß und Weber wandelnder Kommilitone wieder in die Neuzeit zurück- und in der Universität abgeholt worden war, besuchte die Gruppe gemeinsam das Staatliche Museum für Naturkunde und Vorgeschichte, das einen besonderen Leckerbissen zu bieten hat: ein 'Museum im Museum', nämlich ein Naturalien-Cabinett, das an die systematische Erfassung des Tierreichs in den Jahren 1870 bis 1910 erinnern soll. Zwar ist, wie in den museumseigenen Informationen gewissenhaft angemerkt wird, dieses Naturalien-Cabinett kein Original, aber die Objekte aus dem Besitz des damaligen Großherzoglichen Museums, sorgfältig beschriftet in Sütterlin und ausgestellt in historischen Schrank- und Pultvitrinen aus hauseigenen Restbeständen, werden in einem mit gußeisernen Säulen, Stuckdecke und Parkettboden so liebevoll gestalteten Ausstellungsraum dargeboten, daß alle kleinlichen Bedenken hinsichtlich Originaltreue beiseite geschoben werden.

In seinen gut ausgestatteten Abteilungen zur Vor- und Frühgeschichte macht das Staatliche Museum auch Angebote zur museumspädagogischen Betreuung, für die man sich jedoch frühzeitig hätte anmelden und wohl auch etwas mehr Zeit mitbringen müssen. In technikhistorischer Hinsicht besonders interessant wäre wohl der 'Projekttag Handwerk in der Bronzezeit', bei dem Erzgewinnung und Bronzeguß im Mittelpunkt stehen. Wechselnde Sonderausstellungen, darunter einst auch eine zusammen mit der Arbeitsgruppe Hochschuldidaktik und Wissenschaftsgeschichte der Universität Oldenburg gestaltete mit dem Titel 'Welt erforschen - Welten konstruieren', runden das Programm des Museum ab: Alles in allem: eine äußerst lohnende Exkursion, die auch zwei Tage länger hätte dauern dürfen.

Gudrun Wolfschmidt Hamburg, 24. Juni 1999