Universität Hamburg - Institut für Geschichte der Naturwissenschaften, Mathematik und Technik

NACHRICHTEN
aus dem Institut für Geschichte der
Naturwissenschaften, Mathematik und Technik
HAMBURG


Nummer 28, April 1998


Frauen- und Geschlechtergeschichte in der Wissenschaftsgeschichte

Mit Hilfe der Förderung der Gemeinsamen Kommission Frauenstudien/Frauenforschung an Hamburger Hochschulen konnte erstmals im Wintersemester 1997/98 am IGN ein Seminar zu feministischen Ansätzen in der Wissenschaftsgeschichte stattfinden. Durchgeführt wurde das Seminar von den Lehrbeauftragten Helene Götschel und Mirjam Wiemeler.

In den letzten Jahren nahm die Zahl der Arbeiten über Geschlechtergeschichte in der Wissenschaftsgeschichte in Deutschland zu, wie u.a. der Sammelband der 78. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik zeigt. Der Tagungsband erschien unter dem Titel ,,Geschlechterverhältnisse in Medizin, Naturwissenschaft und Technik``, herausgegeben von Christoph Meinel und Monika Renneberg (GNT-Verlag, Bassum und Stuttgart 1996). Hinzu kommen zahlreiche Forschungsprojekte aus dem angloamerikanischen Sprachraum, über deren

Ergebnisse u.a. der von Barbara Orland und Elvira Scheich herausgegebene Sammelband ,,Das Geschlecht der Natur. Feministische Beiträge zur Geschichte und Theorie der Naturwissenschaften`` (Suhrkamp-Verlag, Frankfurt a. M. 1995) einen interessanten Querschnitt zeigt.
Aus den genannten Veröffentlichungen ergibt sich ein Spektrum von Frauen- und Geschlechterforschung, das sich in dem im WS 1997/8 gehaltenen Seminar wiederfindet. Zu diesem Zweck wählten wir Themen und Texte aus, die sowohl von etablierten Wissenschafts- und TechnikhistorikerInnen wie auch von PromovendInnen verfaßt sind. Das Seminar besaß zwei Teile.

Beiden Abschnitten des Seminars waren methodische Texte vorangestellt. Sie sollten zum einen mögliche Fragestellungen aufzeigen, um sich den verschiedenen Themen der Frauen-und Geschlechterforschung zu nähern, und zum anderen theoretische Begriffe einführen.


Bei der historischen Betrachtung der Naturwissenschaften zeigen sich die Wirkungen gesellschaftlicher Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen. Verschiedene Arbeitsbereiche wurden eher Frauen oder Männern zugeordnet. Die Erforschung naturwissenschaftlicher Disziplinen aus frauen- bzw. geschlechterhistorischer Perspektive macht bislang übersehene Wissenschaftlerinnen und ihre Arbeitsbereiche sichtbar. Einige dieser Arbeitsbereiche unterschieden sich stark von den Tätigkeitsfeldern männlicher Wissenschaftler, so daß die frauenhistorische Perspektive neue Erkenntnisse über die Entwicklung der naturwissenschaftlichen (Teil)Disziplinen ermöglicht. Aus den genannten Zusammenhängen ergibt sich weiterhin, daß Frauen in der Wissenschaft z.T. andere Erfahrungen machten als ihre männlichen Kollegen und die Wissenschaftsentwicklung den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern oft unterschiedliche Perspektiven eröffnete.

Um diesem Sachverhalt Rechnung zu tragen und um unterschiedlichen Geschlechterverhältnissen in den verschiedenen Lebensbereichen von einzelnen Naturwissenschaftlerinnen gerecht zu werden, sind WissenschaftshistorikerInnen in der Biographienforschung neue Wege gegangen. Sie entwickelten Forschungsansätze, die Wechselwirkungen zwischen den Arbeitsbedingungen, der Fachentwicklung, der Einflußnahme verschiedener Interessengruppen und einzelnen Wissenschaftlerinnen transparent machen. Auf diese Weise zeigen die Biographien nicht nur die besonderen Lebens- und Arbeitsbedingungen von Frauen in der Wissenschaft und die jeweiligen Strategien der Naturwissenschaftlerinnen, sondern verweisen darüber hinaus auf Entstehungsbedingungen von wissenschaftlichen Theorien und Praktiken.

Die feministische Wissenschaftskritik hat das Ziel, wissenschaftliche Inhalte auf ihren geschlechterhierarchisch geprägten Entstehungs- und Entwicklungszusammenhang zu untersuchen. Mathematik, Physik, Chemie und Biologie scheinen auf den ersten Blick unabhängig zu sein von der Geschlechterordnung der Gesellschaft, in der sie entstanden. Deshalb entwickelten feministische WissenschaftsforscherInnen ein umfangreiches Handwerkszeug, um dem Zusammenhang von wissenschaftlichem Wissen und Geschlechterverhältnis nachzuspüren. Das Interesse richtet sich dabei sowohl auf die Inhalte der jeweiligen Naturwissenschaft wie auch auf die AkteurInnen und die konstituierenden Momente bei der Ausübung ihres Faches. Postmoderne Geschlechterforschung ermöglicht dabei einen anderen Blickwinkel und neue Fragestellungen, wodurch sich eine erweiterte Erkenntnisvielfalt ergibt.

Die Interdisziplinarität des Seminarthemas spiegelte sich auch in der Fächervielfalt der SeminarteilnehmerInnen wieder. Sie stammten nicht nur aus verschiedenen Fachbereichen, sondern standen auch an verschiedenen Abschnitten ihres Studium bzw. ihrer wissenschaftlichen Laufbahn. Demzufolge erwarteten einige TeilnehmerInnen von dem Seminar, daß es spezielle Fragen beantwortet, während andere sich zunächst einmal einen ersten Eindruck von dem Diskussionsstand der Frauen- und Geschlechterforschung in der Wissenschaftsgeschichte verschaffen wollten. Dadurch ergaben sich äußerst facettenreiche Diskussionen zu den verschiedenen o.g. Themen, die durch die Bereitschaft der TeilnehmerInnen, Referate zu halten, vielschichtiger wurden. In der Abschlußsitzung zeigte sich in der kontroversen Diskussion der Stärken und Schwächen verschiedener Forschungsansätze, daß eine allen gemeinsame Basis entstanden war und daß einige TeilnehmerInnen ihre neu entstandenen Fragen weiter verfolgen wollen.

Wir möchten der Gemeinsamen Kommission Frauenstudien/Frauenforschung an Hamburger Hochschulen, dem Fachbereich Mathematik und dem Institut für Geschichte der Naturwissenschaften, Mathematik und Technik dafür danken, daß sie dieses Seminar zur Frauen- und Geschlechtergeschichte in der Wissenschaftsgeschichte ermöglichten.
Den TeilnehmerInnen danken wir für die interessanten Diskussionen, aus denen wir viele Anregungen und weitere neue Gesichtspunkte zu den verschiedenen Texten mitnahmen. Hoffentlich ergeben sich weiterhin Möglichkeiten, um den genannten Fragestellungen im Rahmen des IGNs nachzugehen.


Helene Götschel, Mirjam Wiemeler



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Die letzte Änderung stammt vom 14. Oktober 1998.
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