Universität Hamburg - Institut für Geschichte der Naturwissenschaften, Mathematik und Technik

NACHRICHTEN
aus dem Institut für Geschichte der Naturwissenschaften, Mathematik und Technik
HAMBURG


Nummer 25, April 1995

Weiter auf den Spuren von Graf Wolfgang II. von Hohenlohe

Vor zwei Jahren hatte ich im Nachrichtenblatt unseres Instituts einen Bericht über mein Forschungsvorhaben "Graf Wolfgang II. von Hohenlohe und die Alchemie" gegeben (vgl. Nachrichten Nr. 23, April 1993). Nachdem mein Buch erschienen war, bedauerte ich bei aller Freude darüber, das Ergebnis langjähriger Forschungen greifbar in Händen zu haben, doch ein wenig, daß die Arbeit an einem so interessanten Thema nun beendet sein sollte. Nun - es gibt zunächst ja die Möglichkeit, das Thema eines Buches ohne zusätzliche Forschung in geeigneten Zeitschriftenaufsätzen "auszuschlachten", und diese Chance habe ich natürlich genutzt.

Dann aber mußte ich mir ernsthaft überlegen, wie es weitergehen sollte, und schon bald gewannen die neuen Pläne deutlichere Konturen. Es sollten kleinere Forschungsarbeiten in Angriff genommen werden, die in losem Zusammenhang mit der Thematik meines Buches stehen. Das Generalthema könnte etwa lauten: "Alchemie und Chemie an deutschen Fürstenhöfen der Renaissance", wobei mit Renaissance das 16. und frühe 17. Jahrhundert gemeint sein soll. Was mich in diesem Zusammenhang besonders interessiert, sind chemische Geräte, chemisch-alchemistische Laboratorien, chemische und alchemistische Bücher in Fürstenbibliotheken, Briefwechsel über alchemistische Fragen und einzelne Persönlichkeiten wie Andreas Libavius oder Wolfgangs Leibarzt Eucharius Seefridt.

Wie es der Zufall wollte, wurde gerade in jener Zeit vom Historischen Verein für Württembergisch Franken, der auch die Herausgabe meines Buches betreut hatte, ein Arbeitskreis "Glashütten im Mainhardter, Murrhardter und Welzheimer Wald" gegründet, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Geschichte dieser Glashütten archäologisch und archivalisch zu erforschen. Da Wolfgang von Hohenlohe seine chemischen Glasgeräte von einer dieser Glashütten, Fischbach, bezog, setzte ich mich mit dem Leiter des Arbeitskreises, H.-D. Bienert, in Verbindung und sagte meine Mitarbeit zu. Mit Bienert besuchte ich auch Fischbach, das noch heute völlig einsam in einer Lichtung inmitten von Wäldern liegt, und nahm nun schon zum zweiten Mal an einer Sitzung des Arbeitskreises in Murrhardt teil. Das Thema meines Beitrags in einer geplanten Monographie wird chemische Geräte und Apothekengefäße aus Glas zwischen 1550 und 1620 zum Gegenstand haben.

Das neue Forschungsprogramm war die Ursache dafür, daß ich im September 1993 zum ersten Mal seit sechs Jahren wieder im Hohenlohe-Zentralarchiv in Neuenstein arbeitete. Wer schon einmal mit handschriftlichem Quellenmaterial zu tun hatte und die toten Buchstaben zum Reden brachte, wird verstehen können, daß das Vertiefen in die Dokumente für mich wie ein Wiedersehen mit guten alten Bekannten war. Es folgten weitere Archiv-Aufenthalte, nicht nur im Hohenlohe-Zentralarchiv (Glashütten, Julius Echter, Seefridt, alchemistische Rezepte), sondern auch im Hauptstaatsarchiv Stuttgart (Glashütten, Laboratorium Friedrich von Württemberg), Stadtarchiv Schwäbisch Hall (Seefridt), Stadtarchiv Rothenburg ob der Tauber (Libavius) und Staatsarchiv Würzburg (Julius Echter). Erschienen ist ein Aufsatz über die Weikersheimer Schloßapotheke, fertiggestellt eine Veröffentlichung über Julius Echter von Mespelbrunn, Wolfgang von Hohenlohe und die Alchemie.

Auch zu meinem ursprünglichen Thema kamen inzwischen noch wichtige Dokumente zutage. So teilte mir J. Paulus, der mich bereits auf die Existenz einer chemisch-alchemistischen Sammelhandschrift aus Wolfgangs Besitz in der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek hingewiesen hatte, bei einem Treffen in Heidelberg mit, daß er in der Sächsischen Landesbibliothek in Dresden eine weitere derartige Sammelhandschrift entdeckt habe. Bei einem Besuch im Hohenlohe-Zentralarchiv erfuhr ich, daß sich die scheinbar verlorengegangenen Schreibkalender, in denen Wolfgang seine chemischen Experimente notiert hatte, inzwischen angefunden haben - im Nachlaß des ersten Archivleiters. Als ich im Februar 1994 wieder in Neuenstein war, eröffnete mir der Archivar, W. Beutter, daß er im Archiv an einer von der Signatur her völlig unerwarteten Stelle noch eine umfangreiche Akte zu meinem Thema entdeckt habe. Wie sich dann herausstellte, enthält die Akte zahlreiche alchemistische und chemiatrische Rezepte, teils in Seefridts oder Wolfgangs Handschrift, auch Briefe von Seefridt an Wolfgang und sagt viel über die Alchemie Wolfgangs und seines Leibarztes aus. Die Informationen über Wolfgangs von Hohenlohe Experimente waren in meinem Buch notgedrungen zu kurz gekommen - hier sind sie nun in Fülle vorhanden.

Durch ein Telefongespräch mit M. Messerer vom Liegenschaftsamt in Heilbronn im November 1993 erfuhr ich, daß im Weikersheimer Schloß in Zukunft auch die Schloßkapelle und die Hofküche für Besichtigungen zugänglich gemacht werden sollen, und kam dadurch auf die Idee, daß man in zwei nicht genutzten Nebenräumen der Küche eine Dauerausstellung zum Thema "Wolfgang von Hohenlohe und die Alchemie" einrichten könne. Als ich mich nach einem Vortrag in Schwäbisch Hall Anfang Dezember bei einem vierstündigen Weikersheim-Aufenthalt mit dem Schloßverwalter, H. Schwarz, verabredete, um die beiden Räume anzusehen, traf ich in seinem Büro zufällig auch den für die Staatlichen Schlösser und Gärten in Baden-Württemberg zuständigen Vertreter, K. Merten. Er hielt meine Idee für brauchbar und schlug vor, sie auszuarbeiten und zu Papier zu bringen. Ein weiteres Treffen mit ihm fand im Mai in Weikersheim statt. An dem Gespräch nahm auch Frau S. von Osten teil, die in Oberstockstall bei Kirchberg am Wagram (Niederösterreich) das komplette Inventar eines alchemistischen Laboratoriums aus dem 16. Jahrhundert ausgegraben hatte und kurz darauf bei uns im Kolloquium sprach. Meine "Denkschrift" war inzwischen auf dem üblichen Instanzenweg weitergeleitet worden. Der Nachbau eines alchemistischen Laboratoriums, wie ich es ursprünglich vorgehabt hatte, war nicht erwünscht, während mir für eine normale Ausstellung weiterhin beide Räume zur Verfügung standen. Anfang August erhielt ich vom Leiter der Landesvermögens- und Bauabteilung in Stuttgart die schriftliche Zusage, daß mein Projekt in die demnächst anlaufende Planung aufgenommen werde; allerdings müsse ich wegen dringender Restaurierungsarbeiten am Weikersheimer Schloß noch ein paar Jahre Geduld haben, bis das Projekt realisiert werden könne.

Um Anregungen dafür zu sammeln, wie man die beiden Ausstellungsräume einrichten könne, die mir mit jedem Weikersheim-Besuch vertrauter wurden, unternahm ich Anfang Oktober eine alchemiehistorische Museumsreise: nach Kirchberg am Wagram, wo im "Alten Rathaus" die von Frau von Osten in Oberstockstall ausgegrabenen chemischen Geräte ausgestellt sind - eine äußerst sehenswerte Dauerausstellung -, zur chemischen Abteilung des Deutschen Museums in München und zum Apotheken-Museum im Heidelberger Schloß. Gespräche führte ich auf dieser Reise mit Frau von Osten, W.-G. Fleck in Stuttgart, der mich bei bautechnischen Fragen in meinem Buch beraten hatte, mit W.-D. Müller-Jahncke in Heidelberg und H. Heid in Rastatt, bei dessen Ausstellung naturwissenschaftlicher Werke des 16. Jahrhunderts auch ich mitgewirkt hatte. Insgesamt habe ich durch die Besichtigungen und Gespräche auf dieser Reise viele wertvolle Anregungen für die Einrichtung der beiden Räume im "Küchenbau" des Weikersheimer Schlosses erhalten.

Das letzte Projekt, von dem ich berichten möchte, geht auf eine Frage von Frau von Osten zurück: "Wann werden Sie in Weikersheim ausgraben lassen?" Dahinter steckt die Idee, daß das alchemistische Laboratorium im unmittelbar angrenzenden Burggraben Spuren hinterlassen haben könnte: zerbrochene chemische Geräte, Chemikalien oder Bauschutt vom Abbruch des Laboratoriums. Da die Lage des Laboratoriums eindeutig feststeht, ist der Bereich, wo man suchen müßte, eng umgrenzt. Nach einem ersten Telefongespräch im Dezember 1993 mit dem hierfür zuständigen Wissenschaftler vom Landesdenkmalamt Baden-Württemberg, H. Schäfer, kam im Mai ein Treffen mit ihm und Frau von Osten in Weikersheim zustande. Eine Besichtigung vor Ort ergab, daß eine Probegrabung im Burggraben sinnvoll wäre, jedoch wegen der damit verbundenen hohen Kosten erst in ein paar Jahren ausgeführt werden könnte.

In ein konkreteres Stadium traten die Pläne, als es durch Vermittlung eines unserer Nebenfachstudenten, D. Siebers, der im Hauptfach Vor- und Frühgeschichte studiert, gelang, das Bohrgerät für Probebohrungen von seinem Institut kostenlos geliehen zu bekommen. So trafen wir drei - Frau von Osten, Siebers und ich - uns im September im Taubertal und führten an drei Tagen Probebohrungen im Burggraben von Schloß Weikersheim durch. Tatkräftig unterstützt wurden wir durch zwei Hilfskräfte aus Schäftersheim - übrigens Mitglieder des Schäftersheimer Männergesangvereins, der uns bei unserer wissenschaftshistorischen Exkursion ins Hohenlohische so gastfreundlich in der "Scheune" bewirtet hatte. Die Kosten für Übernachtung, Benzingeld und Bezahlung der Hilfskräfte wurden dankenswerterweise von der Schimank-Stiftung finanziert. Es wurden, bei teils regnerischem Wetter, über vierzig Bohrungen niedergebracht und zahlreiche Bodenproben entnommen. Die Bohrungen ergaben auf den ersten Blick nichts Sensationelles: ein paar Glasscherben, einige Keramikfragmente, ein Stück Holzkohle und ein Stück Schlacke. Die archäologische Auswertung der Bodenproben ist jedoch noch nicht abgeschlossen, und eine chemische Untersuchung auf Stoffe, die für ein damaliges Laboratorium typisch sind, war bisher noch nicht möglich.

Jost Weyer


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wwwign, 10. August 1995