Universität Hamburg - Institut für Geschichte der Naturwissenschaften, Mathematik und Technik

NACHRICHTEN
aus dem Institut für Geschichte der Naturwissenschaften, Mathematik und Technik
HAMBURG


Nummer 25, April 1995

Chronik der Zeit vom März 1994 bis Februar 1995

  Die Frage, die die Gemüter im Institut während der Berichtszeit am heftigsten bewegte, betraf die Nachfolge von Herrn Scriba. Im April 1994 erschien die Wiederbesetzung zum Sommersemester 1995 erst einmal sicher geregelt: der Berufungsvorschlag hatte alle universitären Gremien passiert und war bereits von der Hamburger Bürgerschaft bestätigt; nur der Ruf durch den Wissenschaftssenator stand noch aus. Doch hatte die Universität die ihr auferlegten Sparmaßnahmen im Haushalt 1995 nicht in der von der Wissenschaftsbehörde geforderten Höhe erfüllt. Daraufhin stellte der Wissenschaftssenator selbst eine Liste zu streichender Stellen zusammen, in die sogar Professuren aufgenommen wurden, für die bereits Berufungsverhandlungen im Gange waren. Auch die C4-Professur für Geschichte der Naturwissenschaften stand auf dieser Streichliste. Lehrende und Studierende an der Hamburger Universität protestierten in gleichem Maße empört gegen die willkürliche, da nur an Haushaltsüberlegungen orientierte Maßnahme des Senators. Im IGN bestimmte eine Mischung aus ungläubiger Empörung und Panik angesichts der Konsequenzen für das Institut die Reaktionen, die alsbald in fieberhafte Aktivitäten mündeten. Gespräche wurden geführt, Briefe geschrieben, Bitten um Unterstützung in alle Welt gesandt, und die Studierenden starteten eine Unterschriftensammlung. Die Resonanz auf unsere Hilferufe war überwältigend - über 50 Protestschreiben von Kollegen und Kolleginnen und von wissenschaftshistorischen Verbänden von Island bis Australien, von Toronto bis Peking trafen bis Juli beim Ersten Bürgermeister der Stadt Hamburg ein. Die vielfältigen Proteste hatten Erfolg, die C4-Professur für Geschichte der Naturwissenschaften wurde von der Streichliste gestrichen, und im Oktober erging der Ruf an Frau Professor Karin Reich in Stuttgart. Allen, die zu diesem Erfolg beigetragen haben, sei an dieser Stelle noch einmal herzlich gedankt!

Inzwischen hat Frau Reich den Ruf angenommen und wird ab April 1995 die allgemeine Geschichte der Naturwissenschaften und die Geschichte der Mathematik in Hamburg vertreten. Die neue Ära, die damit am IGN anbrechen wird, wird Gegenstand des nächsten Nachrichtenblattes sein.

Hier ist zu berichten vom Abschluß der alten Ära. Am 23. Januar veranstaltete das Institut zusammen mit dem Fachbereich Mathematik ein Festkolloquium zu Ehren von Herrn Scriba. Die Beiträge zu diesem Kolloquium von den Reden und Vorträgen bis zum studentischen Theaterstück und der Organisation des Buffets, sowie die Anwesenheit von über 120 Gästen machten einmal mehr die hohe Wertschätzung deutlich, die Herrn Scriba von Kollegen und Kolleginnen im In- und Ausland sowie von den Studierenden entgegengebracht wird. Ein ausführlicher Bericht findet sich in diesem Nachrichtenblatt. Doch danken wir Herrn Scriba auch an dieser Stelle noch einmal für alles, was er im Laufe der Jahre für das Institut getan hat, und wünschen ihm alles Gute für seine Zeit als Emeritus!

Über weitere personelle Veränderungen am Institut ist folgendes zu berichten:

Der Mutterschaftsurlaub von Frau Mehrabadi ging am 15. Mai 1994 zu Ende; seitdem führt sie wieder das Geschäftszimmer des Instituts.

Als studentische Hilfskräfte arbeiteten in der Berichtszeit bei uns die Damen Birgit Burmeister, Sergine Dupont und Mirjam Wiemeler; die Verträge der Herren Kai Handel und Markus Müller liefen im Herbst aus, als Nachfolger sind seit dem 1. Oktober 1994 die Herren Falk Aupers und Gerhard Wiesenfeldt tätig. Zusätzlich konnten für die Zeit von Oktober bis November 1994 Herr Christian Alberti und Herr Oswald Pietsch eingestellt werden. Alle Hilfskräfte tragen durch ihr Interesse und Engagement zum reibungslosen Funktionieren des Institutsbetriebs und zum angenehmen Institutsklima bei.

Die weiteren Nachrichten betreffen personelle Veränderungen in der Zukunft des Instituts.

Herr Kleinert erhielt im Januar 1995 den Ruf auf die C4-Professur "Geschichte der Naturwissenschaften" an der Mathematisch-Naturwissenschaftlich-Technischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Dazu sprechen wir ihm unseren Glückwunsch aus! Wir hoffen gleichzeitig, daß seine Stelle dem Institut erhalten bleibt und die Physikgeschichte in Hamburg auch weiterhin vertreten werden kann.

Die Doktorandenförderungsstelle, die Herr Wilke bis zum 31. März 1995 innehatte, wird voraussichtlich zum 1. April neu besetzt.

Die DFG bewilligte Herrn Scriba einen Antrag auf eine Sachbeihilfe zur Vorbereitung einer Edition des Briefwechsels des Oxforder Mathematikers John Wallis (1616-1703). Als wissenschaftlicher Mitarbeiter an diesem Vorhaben ist seit 1. Juni 1994 Herr Dr. Siegmund Probst tätig, der im Sommer seine Dissertation über die Kontroverse zwischen Wallis und Thomas Hobbes in Regensburg verteidigte, als studentische Hilfskraft seit 1. Juli Herr Christian Alberti.

Die Robert-Bosch-Stiftung hatte Herrn Kleinerts Antrag auf Finanzierung eines "Pilotprojekts" zur Entwicklung eines deutsch-französischen Forschungsvorhabens "Geschichte der Wissenschaften im Elsaß" zusammen mit der französischen Partnerinstitution GERSULP (Groupe d'Études et de Recherches sur la Science de l'Université Louis Pasteur) an der Straßburger Universität bewilligt. Die damit verbundene befristete BAT IIa-Stelle hatte Frau Marielle Cremer vom 1. März bis 31. August 1994 inne. Sie führte in dieser Zeit u.a. umfangreiche Archivrecherchen durch und stellte das Projekt in einigen wissenschaftshistorischen Zeitschriften vor. Leider waren sowohl ihre Bemühungen als auch die der Straßburger Kolleginnen um Geldgeber für ein großes deutsch-französisches Forschungsvorhaben erfolglos. Dennoch soll das Projekt in kleinerem Rahmen fortgeführt werden. Die Pläne für zunächst ein Buchprojekt, dem möglicherweise weitere folgen, wurden in mehreren Arbeitsbesprechungen in Straßburg, an denen aus Hamburg Frau Cremer und Frau Renneberg teilnahmen, erarbeitet. Ein erster "Call for papers" für einen Band mit dem Titel "Sie waren in Straßburg - wissenschaftliche Karrieren im politischen Kontext" wurde im November an etwa 50 an dem Projekt interessierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschickt.

Über das Graduiertenkolleg "Griechische und byzantinische Textüberlieferung - Wissenschaftsgeschichte - Humanismusforschung und Neulatein", an dem das IGN beteiligt ist, wird in diesem Nachrichtenblatt ausführlich berichtet.

Am 28. November 1994 veranstaltete das Institut aus Anlaß des 300. Geburtstages des Hamburger Gelehrten und Aufklärers Hermann Samuel Reimarus gemeinsam mit der Joachim-Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften ein Festkolloquium. Bei dieser Gelegenheit dokumentierte Herr Professor Wolfgang Walter, der eine Woche zuvor seinen 75. Geburtstag feiern konnte, einmal mehr seine Verbundenheit mit dem IGN - er ermöglichte durch eine großzügige Weinspende den Empfang nach dem Kolloquium.

In den Monaten Februar bis April 1994 war Frau Dr. Miriam Rozanskaja aus dem Institut für Geschichte der Naturwissenschaften und Technik der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau bei uns zu Gast, finanziert mit einem Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Neben dem Studium neuerer, in Moskau nicht zugänglicher Literatur arbeitete sie an einigen Aufsätzen zur Geschichte der Mathematik und Mechanik in den arabischen Wissenschaften des Mittelalters. Daneben studierte sie den Briefwechsel zwischen den Mathematikhistorikern Adolf P. Juschkewitsch (1906-1993) und Kurt Vogel (1888-1985). Eine für die Entwicklung der Mathematikgeschichte charakteristische Auswahl der Briefe bereitet sie zur Edition vor. Einige in dieser Zeit unternommene Reisen ermöglichten ihr, Kontakte mit Kollegen in Frankfurt, Halle und München aufzunehmen bzw. zu vertiefen.

Seit August hält sich erneut Herr Dr. Evgeny Zaitsev aus dem gleichen Institut bei uns auf, diesmal dank eines von der Gerda Henkel Stiftung für 12 Monate bewilligten Stipendiums. Zugleich ist er wiederum assoziiertes Mitglied unseres Graduiertenkollegs. Herr Zaitsev wird hier seine Studien zur Entwicklung der Geometrie im Mittelalter fortsetzen.

Im Juni letzten Jahres verbrachte Frau Prof. Phyllis Cassidy vom Smith College in Northampton, Massachusetts, im Rahmen des Austauschprogrammes der Universität Hamburg einen Monat am IGN und setzte damit die Tradition gegenseitiger Besuche fort. Ihre Forschungen bezogen sich auf die Entwicklung der Galois-Theorie, worüber sie in einem gemeinsam mit dem Mathematischen Seminar veranstalteten Kolloquium auch einen Vortrag hielt.

Am Ende des Wintersemesters 1994/95 war Professor Martin Counihan von der University of Southampton, mit der die Universität Hamburg eine Partnerschaft unterhält, unser Gast. Da er im Rahmen der von seiner Universität angebotenen Erwachsenenbildung mit dem Aufbau und der Ausgestaltung geeigneter Lehrveranstaltungen beauftragt ist, informierte er sich vor allem durch Teilnahme an unseren Vorlesungen und Seminaren und viele Gespräche über die hiesigen, von den englischen doch sehr verschiedenen Studienbedingungen und Organisationsformen. In den Unterhaltungen wurde deutlich, daß die schwierige finanzielle Situation in beiden Ländern die Tendenz zu quantitativer Messung aller wissenschaftlichen Tätigkeiten sehr verstärkt. So lassen sich seltsame, wenn auch unterschiedlichen Gattungen entstammende Blüten der Bürokratie sowohl in seiner Heimat wie bei uns vermehrt beobachten.

Herr Scriba nahm vom 24.-30. April an der 32. Tagung für Geschichte der Mathematik im Mathematischen Forschungsinstitut Oberwolfach teil. Gemeinsam mit Prof. J. W. Dauben (New York) leitete er dort vom 11.-18. September die Arbeitsgruppe "Historiography of Mathematics" der International Commission on the History of Mathematics, die eine Buchpublikation über die Entwicklung der Mathematikgeschichte vorbereitet. - Am 29. November nahm er teil am Festkolloquium aus Anlaß des 25-jährigen Bestehens des Lehrstuhls für Geschichte der exakten Wissenschaften und der Technik an der TU Berlin, den er von 1969-1975 innehatte. Im Januar 1995 wurde Herr Scriba zum ordentlichen Mitglied der Mathematisch-Physikalischen Klasse der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen gewählt. Die Mathematische Gesellschaft in Hamburg ernannte Herrn Scriba im Februar zum Ehrenmitglied.

Herr Kleinert wurde am 5. März 1994 von der Euler-Kommission der Schweizerischen Akademie der Naturwissenschaften zum Mitglied des Internationalen Redaktionskomitees für die Series Quarta der Euler-Gesamtausgabe gewählt. Seit Mai 1994 ist er als Nachfolger des verstorbenen A. P. Juschkewitsch Mitherausgeber des Bandes IVA, 7 dieser Edition (zusammen mit R. Taton). Außerdem wurde Herr Kleinert zum Mitglied des Redaktionskomitees (Comité scientifique) der Zeitschrift Sciences et techniques en perspectives gewählt. Am 1. Februar hat Herr Kleinert einen seit langem geplanten zweimonatigen Forschungsaufenthalt in Genf angetreten. Er studiert dort einige in der Universitätsbibliothek aufbewahrte Gelehrten-Nachlässe aus dem 18. Jahrhundert und hält außerdem an der Universität eine zweistündige Vorlesung über das Thema "Sciences et Lumières".

Herr Kleinert und Frau Renneberg nahmen teil an der Tagung "Die Elite der Nation im Dritten Reich. Das Verhältnis von Akademien und ihrem wissenschaftlichen Umfeld zum Nationalsozialismus", die vom 9.-11. Juni 1994 von der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina in Schweinfurt ausgerichtet wurde.

Im September wählte die Mitgliederversammlung der deutschen Gesellschaft für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik in Halle Herrn Kleinert zum stellvertretenden Vorsitzenden für das Fachgebiet Naturwissenschaftsgeschichte und Frau Renneberg zur Schriftführerin.

Herr Weyer arbeitete im Zusammenhang mit kleineren Forschungsvorhaben zum Thema "Alchemie an deutschen Fürstenhöfen der Renaissance" von Februar bis Anfang März 1994 im Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Stadtarchiv Schwäbisch Hall, Hohenlohe-Zentralarchiv Neuenstein und Stadtarchiv Rothenburg ob der Tauber. Im Mai galt ein kürzerer Franken-Aufenthalt dem Besuch des Staatsarchivs und der Universitätsbibliothek in Würzburg und einem Arbeitsgepräch in Weikersheim, das Ausstellungsräume im Schloß und Grabungen im Burggraben betraf. Vom 6. bis 8. September nahm er an Probebohrungen im Weikersheimer Burggraben teil, die unter Leitung von Frau Dr. Sigrid von Osten zusammen mit einem unserer Nebenfachstudenten, Dirk Siebers, ausgeführt wurden. Von Weikersheim ging es im Anschluß daran für ein paar Tage wieder ins Hohenlohe-Zentralarchiv. Anfang Oktober machte er eine alchemiehistorische Museumsreise nach Kirchberg am Wagram, wo das von Frau von Osten in Oberstockstall ausgegrabene Inventar eines alchemistischen Laboratoriums ausgestellt ist, zum Deutschen Museum nach München und zum Apotheken-Museum im Heidelberger Schloß. Am 17. Dezember nahm er, wie im letzten Jahr, an einer Sitzung des Arbeitskreises "Glashütten im Mainhardter, Murrhardter und Welzheimer Wald" in Murrhardt teil (vgl. den ausführlichen Bericht).

Frau Renneberg erhielt den "Fischer-Appelt-Preis für hervorragende Leistungen in der akademischen Lehre" der Hamburger Universität für das Jahr 1994. Die Studierenden am Institut hatten sie für diesen Preis vorgeschlagen; da sie ihr Unternehmen zudem streng geheimgehalten hatten, ereilte Frau Renneberg die Nachricht der Preisverleihung als komplette, doch sehr gelungene Nikolausüberraschung. Der Preis wurde am 1. Februar 1995 im Rahmen der Absolventenfeier des Fachbereichs Mathematik durch den Präsidenten der Hamburger Universität Dr. Jürgen Lüthje verliehen; die Laudatio hielt der Vizepräsident Professor Dr. Arnold Sywottek.

Wenn auch nur langsam, so doch stetig hat sich die Ausrüstung des IGN mit Computern verbessert. Hatten wir die Vorbereitungen für den Internationalen Kongreß im August 1989 noch im studentischen Terminalpool der Mathematik durchführen müssen, da dem Institut noch keine eigenen Geräte zugewiesen worden waren, so sind wir heute mit sechs PCs ausgerüstet, von denen drei Netzanschluß haben. (Einige davon sind freilich "Dinosaurier", die kein Mathematiker mehr eines Blickes würdigen würde, die aber für einfache Textverarbeitung noch immer ihren Dienst tun.) Neben Herrn Kleinert, Frau Renneberg und Herrn Scriba machen inzwischen auch unsere Doktoranden vermehrt Gebrauch von der Möglichkeit der E-Mail zur raschen Kommunikation. Seit kurzem hat das IGN einen eigenen Eintrag im "World Wide Web" (WWW), der von außerhalb unter der Kennung http://www.math.uni-hamburg.de/math/ign/homepage.html eingesehen werden kann. Es ist beabsichtigt, dort zukünftig auch Informationen über geplante Gastvorträge, Gastaufenthalte auswärtiger Kolleginnen und Kollegen, über Studienbedingungen und sonstige Nachrichten für Interessenten bereitzuhalten.

Ein regelmäßiger Besucher des IGN ist Herr Helmut Drubba aus Hannover. Als ehemaliger Bibliothekar an der dortigen Technischen Informationsbibliothek verfolgt er auch im Ruhestand sorgfältig die Neuerscheinungen auf unserem Fachgebiet und versorgt uns regelmäßig mit Anschaffungsvorschlägen - leider wächst unser Bücheretat keineswegs proportional zu Zahl und Preis der uns von ihm zur Kenntnisnahme vorgelegten Werke. Eine langjährige Freundschaft mit Herrn Schimank kommt so dem IGN bis zum heutigen Tage zugute.

Auch in diesem Jahr erhielt die Bibliothek des IGN wieder zahlreiche Bücher, Zeitschriftenbände und Sonderdrucke als Geschenk. Für größere Schenkungen danken wir Frau Bangen, Herrn Curts, Herrn Bernd Zimmermann, der Bibliothek der Bundesforschungsanstalt für Fischerei in Hamburg und ganz besonders Herrn Scriba, der der Bibliothek etwa 500 Sonderdrucke überließ.


Gerhard Wiesenfeldt, 8. August 1995